Carolin Emcke im Gespräch mit Armin Nassehi (Professor für Soziologie, LMU München)
In seinem Buch »Muster« erarbeitet Armin Nassehi eine Theorie der digitalen Gesellschaft. Dabei interessiert er sich für die Frage, ob die Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten, die sich durch die neuen Technologien ergeben, wirklich so neu sind – oder ob sie nicht seit jeher in das Selbstverständnis der modernen Gesellschaft eingeschrieben sind. Was bedeutet die Anwendung von Künstlicher Intelligenz für die Beobachtung, Vermessung, Steuerung der Person und des Körpers? Welche Vorstellungen von Privatheit, Selbstbestimmung, Leiblichkeit werden durch die digitalisierte Gesellschaft auf die Probe gestellt?
Armin Nassehi (*1960, Tübingen) ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der Politischen Soziologie sowie der Kultur-, Religions-, Wissens- und Wissenschaftssoziologie. Er ist unter anderem Mitglied des Fachkollegiums »Soziologische Theorie« bei der Deutschen Forschungsgesellschaft, Sprecher des Beirats im Fachbereich Bildung und Diskurse der Kulturabteilung des Goethe-Instituts sowie Mitglied des Vorstandes des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover. 2018 wurde Nassehi von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie mit dem Preis für »Herausragende Leistungen auf dem Gebiet der öffentlichen Wirksamkeit der Soziologie« ausgezeichnet. Er ist Herausgeber der Kulturzeitschrift Kursbuch und Verfasser zahlreicher Bücher und Aufsätze; zuletzt erschienen von ihm »Die letzte Stunde der Wahrheit. Kritik der komplexitätsvergessenen Vernunft« (Murmann Verlag, 2017), »Gab es 1968? Eine Spurensuche« (Kursbuch Edition, 2018) und »Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft« (Verlag C. H. Beck, 2019).
Streitraum 2019/20: »Brave New Bodies, Brave New Humanity?«
Wie verändern sich das Denken und auch das Erleben des Körpers und verschiedener Körperlichkeiten im 21. Jahrhundert – und welche Folgen hat das für unsere Vorstellung des Selbst? Wie wir unsere Körper wahrnehmen, wie der Umgang mit dem eigenen Körper erlernt und weitervererbt wird, ist immer schon ein Konfliktfeld kultureller, religiöser, sozialer Praktiken und Überzeugungen gewesen. Wie Körper verhüllt, entblößt, ausgestellt, gepflegt, behandelt werden, mit welchen Bildern Körper in Kategorien von männlich oder weiblich, schön oder hässlich, gesund oder krank, sichtbar oder unsichtbar gemacht werden, ist immer schon normativ und kommerziell ausgeprägt.
Der Streitraum 2019/20 will sich die Frage stellen, wie die medizinisch-technischen Entwicklungen der Prothetik, wie Künstliche Intelligenz und Robotik, aber auch die grundsätzliche Durchdringung und Nutzung digitaler Technologien in allen unseren Lebensbereichen unsere Körper(-Bilder) und unser Selbstverständnis verändern. Was bedeutet Humanismus, was bedeutet ein soziales Wir unter diesen Bedingungen? Welche ökonomischen, kommerziellen Interessen steuern und programmieren die Algorithmen, die über unsere Fitness, unsere Ernährung, unsere Gesundheit mehr und mehr entscheiden? Wie verändert sich unser Selbstbild, aber auch unser Begriff von Begehren, von Sexualität und vom Sterben durch neue Technologien?