Identität und Repräsentation 7: Welches Europa?

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Carolin Emcke im Gespräch mit Aleida Assmann (Professorin em. für Englische Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft der Universität Konstanz), Enis Maci (Autorin) und David Van Reybrouck (Autor, Historiker und Archäologe)

Europa steht am Scheideweg. Nachdem das britische Parlament sich als dysfunktional präsentiert, der Brexit die Logik allzu populistischer Referenden vorgeführt hat, bleibt die Frage: Wohin entwickelt sich die europäische Demokratie? Bei den Wahlen zum EU-Parlament mobilisieren zahlreiche neonationalistische Stimmen für ein ausdrücklich antiliberales Europa. Was ist es, was Europa fehlt? Welche demokratischen Defizite müssen eingestanden und behoben werden? Welcher soziale Unmut ist berechtigt und muss besser adressiert werden? Wer wird repräsentiert in diesem Europa und wer nicht?

Aleida Assmann (*1947, Bethel bei Bielefeld) ist Anglistin, Ägyptologin und Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Bis zu ihrer Emeritierung 2014 hatte sie eine Professur für Englische Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz inne. Sie wurde u. a. mit dem Balzan-Preis 2017 und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2018 ausgezeichnet (mit Jan Assmann). In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit Erinnerung, Vergessen und dem kulturellen Gedächtnis, so zuletzt u. a. in ihren Werken »Formen des Vergessens« ( Wallstein Verlag, 2016) und »Der europäische Traum. Vier Lehren aus der Geschichte« (C. H. Beck, 2018).

Enis Maci (*1993, Gelsenkirchen) ist Dramatikerin und Autorin. Sie studierte Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und Kultursoziologie an der London School of Economics. In der Spielzeit 2018/19 ist sie Hausautorin am Nationaltheater Mannheim, wo ihr Stück »Mitwisser« (Regie: Nick Hartnagel) zu sehen ist. 2018 wurde »Lebendfallen« (Regie: Thirza Bruncken, UA) am Schauspiel Leipzig uraufgeführt, 2019 feierte »Autos« am Schauspielhaus Wien Premiere (Regie: Franz-Xaver Mayr, UA). In der Kritikerumfrage von Theater Heute wurde sie 2018 zur Nachwuchsautorin des Jahres gewählt. Ihr Essayband »Eiscafé Europa« erschien 2018 bei Suhrkamp.

David Van Reybrouck (*1971, Brügge) ist Autor, Kulturhistoriker und Archäologe. Er promovierte an der Universiteit Leiden und erhielt die Ehrendoktorwürde der Université Saint Louis in Brüssel. Sein 2013 auf Deutsch erschienenes Buch »Kongo. Eine Geschichte« (Suhrkamp) wurde in zwölf Sprachen übersetzt und erhielt zahlreiche internationale Preise. In seinen politischen Schriften »Gegen Wahlen: Warum Abstimmen nicht demokratisch ist« (Wallstein Verlag, 2016) und »Für einen anderen Populismus. Ein Plädoyer« (Wallstein Verlag, 2017) setzt er sich mit der Demokratie und ihrer Krise im 21. Jahrhundert auseinander. Er ist Initiator des »Modells G 1000«, das mehr Mitsprache für Bürger_innen in Europa fordert.

Dolmetscher_innen: Lilian-Astrid Geese und Sungur Bentürk

Streitraum 2018/19: »Identität und Repräsentation«

Wenn heute von Identitäten die Rede ist, ist nicht immer sicher, worauf man sich bezieht: auf kulturelle, religiöse, soziale Gemeinschaften? Auf Geschlecht, Herkunft, Nationalität? In welchen ambivalenten Identitäten lassen sich heute gesellschaftliche Formationen begreifen? Welche Zuschreibungen und Projektionen belasten, welche erleichtern die Zugehörigkeit zu einer sozialen oder religiösen Gruppe oder Lebensform? Welche Bilder, welche Begriffe dienen als Instrumente der Stigmatisierung? Warum bleibt die Kategorie der Klasse so tabuisiert als ob es das nicht gäbe: soziale Ausgrenzung oder soziale Distinktion, die sich vererbt von Generation zu Generation? Was braucht es, damit demokratische Gesellschaften wieder durchlässiger, hybrider, pluraler werden? Wie verhalten sich Identität und Repräsentation zueinander? Nicht nur parlamentarische und politische Repräsentationen sehen sich zunehmender Kritik ausgesetzt, auch die Formen medialer, künstlerischer Repräsentationen gehören hinterfragt. Welche Bilder, welche Erzählungen werden zitiert und wiederholt, welche werden verdrängt und vergessen, wie werden Stereotype erzeugt, in denen Vorstellungen von »echt« oder »unecht«, »wir« und dem »Anderen« sich verhärten? Wie frei, wie streitbar, wie bösartig dürfen Menschen oder Gruppen dargestellt und karikiert werden – und welche Kriterien gelten in der Kunst, in der Musik, im Film oder im Theater?