Carolin Emcke im Gespräch mit Peter Dabrock (Professor für Systematische Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und ehem. Vorsitzender des Deutschen Ethikrates)
Seit Wochen leben wir alle im Ausnahmezustand einer historischen Pandemie. Dabei werden wir alle, individuell und kollektiv, eingeschränkt in unseren Freiheitsrechten, in der Möglichkeit zu arbeiten, Geld zu verdienen, mit anderen Menschen gemeinsam zu beten oder zu protestieren ist gleichermaßen verboten, geliebte ältere Menschen zu begleiten in ihrer Not in einem Pflegeheim oder dem Krankenhaus – all das ist zurzeit nicht oder nur begrenzt möglich, um Menschenleben und das Gesundheitssystem zu schützen. Welche ethischen und demokratischen Güter müssen hier gegeneinander verhandelt werden? Wieviel Verantwortung darf der Staat dem Einzelnen oder ganzen sozialen Gruppen zuweisen? Wie groß ist die Gefahr der Willkür und Stigmatisierung?
Peter Darbrock (*1964) ist seit 2010 Professor für Systematische Theologie (Ethik) am Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und war von 2016 bis vor kurzem Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Ethik technischer und (bio-)wissenschaftlicher Durchdringung menschlicher Lebensformen (von Keimbahnintervention bis KI). Dabei interessieren ihn besonders Fragen von sozialer Gerechtigkeit, Menschenwürde und Leiblichkeit.
Zuvor war er von 2002 bis 2008 Juniorprofessor für Bioethik an der Philipps-Universität Marburg, anschließend ebendort bis 2010 Professor für Sozialethik; einen Ruf an die Humboldt-Universität zu Berlin hat er 2015 abgelehnt. Darüber hinaus war er u. a. von 2004 bis 2013 Mitglied der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer sowie von 2011 bis 2016 Mitglied der »European Group on Ethics in Science and New Technologies«. 2011 wurde er zum Pfarrer (Ehrenamt) der Ev.-Luth. Kirche in Bayern ordiniert; von 2012-2020 war er Vorstandsmitglied des Deutschen Ethikrates. 2017 wurde er als erster Theologe Mitglied bei Acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Evangelische Ethik und veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel.
Streitraum 2019/20: »Brave New Bodies, Brave New Humanity?«
Wie verändern sich das Denken und auch das Erleben des Körpers und verschiedener Körperlichkeiten im 21. Jahrhundert – und welche Folgen hat das für unsere Vorstellung des Selbst? Wie wir unsere Körper wahrnehmen, wie der Umgang mit dem eigenen Körper erlernt und weitervererbt wird, ist immer schon ein Konfliktfeld kultureller, religiöser, sozialer Praktiken und Überzeugungen gewesen. Wie Körper verhüllt, entblößt, ausgestellt, gepflegt, behandelt werden, mit welchen Bildern Körper in Kategorien von männlich oder weiblich, schön oder hässlich, gesund oder krank, sichtbar oder unsichtbar gemacht werden, ist immer schon normativ und kommerziell ausgeprägt.
Der Streitraum 2019/20 will sich die Frage stellen, wie die medizinisch-technischen Entwicklungen der Prothetik, wie Künstliche Intelligenz und Robotik, aber auch die grundsätzliche Durchdringung und Nutzung digitaler Technologien in allen unseren Lebensbereichen unsere Körper(-Bilder) und unser Selbstverständnis verändern. Was bedeutet Humanismus, was bedeutet ein soziales Wir unter diesen Bedingungen? Welche ökonomischen, kommerziellen Interessen steuern und programmieren die Algorithmen, die über unsere Fitness, unsere Ernährung, unsere Gesundheit mehr und mehr entscheiden? Wie verändert sich unser Selbstbild, aber auch unser Begriff von Begehren, von Sexualität und vom Sterben durch neue Technologien?