Carolin Emcke im Gespräch mit Seyran Ates (Autorin und Rechtsanwältin), Sabine Kräuter-Stockton (Oberstaatsanwältin Saarbrücken), Thomas Krüger (Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung) und Paula-Irene Villa (Professorin für Soziologie und Gender Studies, LMU München)
Nach der #aufschrei Debatte in Deutschland hat sich mit #metoo eine internationale Diskussion etabliert, die auf dramatische Weise die Strukturen von Sexismus und sexueller Gewalt sichtbar werden lässt. Die schiere Menge an Frauen und Männern, die – ausgelöst durch die Bewegung – über die eigene Belästigung bis Misshandlung berichten, erschwert jedoch mitunter die Unterscheidung diverser Phänomene von Sexismus und sexueller Gewalt. Wie lässt sich über diese Erfahrungen politisch und juristisch differenziert sprechen? In welchen geschlossenen Räumen der Macht dringt bis heute die Kritik an sexueller Belästigung nicht durch? Und welche Instrumente stehen zur Herstellung einer anderen Form der Geschlechtergerechtigkeit zur Verfügung?
SEYRAN ATES (*1963) ist Autorin und Rechtsanwältin, und setzte sich schon früh gegen die Ungleichbehandlung der Geschlechter ein. Bereits während ihres Jurastudiums begann sie 1983 sich frauenpolitisch zu engagieren. Sie beschäftigt sich v.a. mit patriarchalen Strukturen im Islam und mit türkisch-kurdischen Parallelgesellschaften in Deutschland. Zu ihren Veröffentlichungen zählt u.a. »Der Islam braucht eine sexuelle Revolution: Eine Streitschrift« (Ullstein, 2009).
SABINE KRÄUTER-STOCKTON (*1957) ist Oberstaatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken und war lange Jahre zuständig für Sexualdelikte und häusliche Gewalt. Sie war wiederholt als Expertin für den Europarat tätig, u.a. zum Thema »Vergewaltigung/Vergewaltigung in der Ehe« (PACE) und in der Expertinnengruppe für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (GREVIO). Bis zu seiner Umsetzung 2016 setzte sie sich intensiv für eine Änderung des Sexualstrafrechts in Deutschland ein.
THOMAS KRÜGER (*1959) ist seit 2000 Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Er war Gründungsmitglied der Sozialdemokraten in der DDR (SDP) und war bis 1990 deren Geschäftsführer in Berlin (Ost) und Mitglied der Volkskammer in der DDR. Von 1991 bis 1994 war er Senator für Jugend und Familie in Berlin und im Anschluss bis 1998 als Mitglied des Deutschen Bundestages aktiv.
PAULA-IRENE VILLA (*1968) ist seit 2008 Professorin für Allgemeine Soziologie und Gender Studies an der LMU München. Sie promovierte mit einer Arbeit zur Konstruktion des Geschlechtskörpers (»Sexy Bodies«, 4te Auflage 2011) und habilitierte mit einer Schrift zur Geschlechtersoziologie. Sie forscht und lehrt zu Biopolitik/Körper, Populärkultur, Care und (soziologischen und Geschlechter-)Theorien. Zuletzt veröffentlichte sie mit Sabine Hark den Essay »unterscheiden und herrschen« (transcript, 2017).
Streitraum 2017/18: »Wissen und Macht«
Lange galt der Mythos, wer über Wissen und Bildung verfüge, verfüge auch über Macht und Status. Umgekehrt galt der Zugang zu Wissen und Bildung auch als eine Form der Umverteilung und als Weg aus der Ohnmacht. Der »Streitraum« 2017/18 will fragen, was von dieser Vorstellung noch übrig geblieben ist. Denn offensichtlich gelten auch ganz andere Konfigurationen: Beim Brexit wie auch bei der Wahl Donald Trumps schien Unwissen (oder sogar Lügen) erstaunlich machtvoll zu sein. Der explizite Anti-Intellektualismus verschiedener populistischer Bewegungen probt den systematischen Angriff auf Institutionen der Wissensvermittlung wie Universitäten, Kultureinrichtungen und Theater. In einer Zeit, in der durch digitale Medien der Zugang zu Wissen schneller und breiter als je zuvor ermöglicht wird, sind sie nur eines der Konfliktfelder, in denen Wissen und Unwissen sowie Macht und Ohnmacht verhandelt werden. Wie ungleich oder ungerecht wird Wissen verteilt? Was sind die Ursachen für die fehlende soziale Mobilität in einer Gesellschaft? Wie gelingt es radikalen, politischen Bewegungen und Netzwerken, aber auch autoritären, chauvinistischen Regimen, ihre Ideologien und ihre Verbrechen machtvoll zu propagieren und zu inszenieren? Welche technischen, welche ästhetischen Gegenstrategien kann es gegen die Verbreitung von Lügen, Diffamierungen und Hass geben? Verschieben sich die gewalttätigen Konflikte zunehmend in die Sphäre von Cyber-Wars? Und was bedeutet das für die Kritik daran? Der »Streitraum« will in der Spielzeit 2017/18 diese ganz unterschiedlichen Phänomene in den Blick rücken: die sozialen Fragen der Ungleichheit ebenso wie die Fragen nach autoritären Regimen und den »Unsichtbaren« in der Gesellschaft – und welche Dispositive der Macht sie generieren.