Carolin Emcke im Gespräch mit Teresa Bücker (Journalistin und Autorin) und Christina Clemm (Rechtsanwältin)
Die Corona-Pandemie mit den wiederholten Lockdown-Phasen verlangte von allen einen Rückzug ins Häusliche. Die sonst übliche Mobilität, das Reisen oder nur das Rausgehen zur Arbeit wurde mindestens unterbrochen und vielfach ins Homeoffice verlagert. Wann immer Kitas oder Schulen geschlossen wurden, kam für Eltern oder Alleinerziehende noch die Kinderbetreuung zuhause hinzu. Was für Auswirkungen hatten diese Beschränkungen auf die Frauen? Welche Retraditionalisierungsdynamiken waren zu beobachten? Wie ungleich waren die psychischen oder sozialen Belastungen für Frauen? Wie haben sich die Exzesse partnerschaftlicher Gewalt in dieser Zeit entwickelt? Welche politischen Konzepte haben gefehlt? Wie groß ist die Gefahr, dass sich die Geschlechterungerechtigkeiten langfristig vertiefen?
TERESA BÜCKER (*1984, Meschede) arbeitet als Journalistin und Autorin zu gesellschaftspolitischen Themen. Seit 2019 ist sie Kolumnistin des SZ-Magazins und erörtert dort radikale Fragen, um ein kritisches Um- und Weiterdenken über grundlegende Themen des Zusammenlebens voranzutreiben. Zuvor arbeitete sie fünf Jahre lang als Chefredakteurin des Onlinemagazins EDITION F und wurde 2017 als »Journalistin des Jahres« ausgezeichnet sowie 2019 erneut in der Kategorie »Kultur«.
CHRISTINA CLEMM (*1967, München) ist Fachanwältin für Strafrecht und Familienrecht in Berlin und arbeitet u.a. als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter, rassistisch und rechtsextrem motivierter und LGBTIQ* -feindlicher Gewalt. Häufig vertritt sie Frauen, die Opfer von sog. Partnerschaftsgewalt oder anderer misogyner Gewalt geworden sind an der Schnittstelle von Familienrecht und Strafrecht. Sie veröffentlicht in zahlreichen Fachzeitschriften, war mehrfach als Sachverständige im dt. Bundestag und gibt Fortbildung zu Fragen geschlechtsspezifischer Gewalt und Opferschutz. 2020 erschien ihr Buch »AktenEinsicht. Geschichten von Frauen und Gewalt« (Verlag Antje Kunstmann).
Streitraum 2020/21: Die andere Schock-Therapie – welche Gesellschaft wollen wir »nach« COVID-19 sein?
Die Krise der Pandemie wirkt wie ein Kontrastmittel, das in die Gesellschaft injiziert wurde und sichtbar macht, woran wir leiden, was uns schwächt oder schädigt, aber auch, was unverzichtbar ist, was besser umverteilt, stärker unterstützt oder ausgebaut gehört. Schon vor dem Ausbruch von Corona gab es nicht nur eine soziale Frage, sondern soziale Fragen im Plural: Wie lässt sich die soziale Ungleichheit bekämpfen? Wie die Ausgrenzung ökonomisch und kulturell Marginalisierter gemeinsam verhandeln? Wie wird der Wert der menschlichen Arbeit bemessen im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung? Wie lässt sich die Aushöhlung der öffentlichen Infrastruktur stoppen, die Ökonomisierung aller Lebensbereiche? Wie kann eine ökologische Transformation der Landwirtschaft, der Verkehrspolitik, der Wirtschaft aussehen, die die Kosten gerecht verteilt? Politische Lethargie oder Widerwille haben bislang verhindert, dass diese Fragen beantwortet wurden. Aber einige Parameter des politischen Diskurses haben sich gerade verändert, das neoliberale Dogma der Deregulierung gilt nicht mehr ungebrochen. Wie wichtig soziale Wohlfahrtssysteme sind, wie unverzichtbar Investitionen im Gesundheitswesen und ordentliche Gehälter, aber auch wie antastbar die Schuldenbremse ist, all das lässt sich nicht mehr leugnen.
Wie lässt sich verhindern, dass all diese Lehren sofort wieder vergessen werden, sobald die Krise »vorbei« ist, welche politischen, sozialen Utopien braucht es jetzt, wie soll eine andere Normalität gedacht werden?
Der Streitraum ist eine monatliche Diskussionsveranstaltung an der Schaubühne und wird seit 2004 von der Publizistin und Autorin Carolin Emcke moderiert und kuratiert. Eingeladen werden Wissenschaftler_innen, Autor_innen, Politiker_innen, Künstler_innen und andere Personen des öffentlichen Lebens. Der Streitraum behandelt in jeder Spielzeit ein anderes Thema. Alle neun Ausgaben werden auch live im Internet übertragen.