Carolin Emcke im Gespräch mit Bénédicte Savoy (Leiterin des Fachgebiets Kunstgeschichte der Moderne an der Technischen Universität Berlin)
Nicht erst seit der Auseinandersetzung um das Humboldt Forum ist die lange verzögerte oder verdrängte Debatte um die Rückgabe geraubter Kulturgüter virulent. Wie lässt sich erklären, dass Museen ihr koloniales Erbe so lange nicht adressiert haben? Welche Strukturen und welche Ideologien, welches Unwissen und welche Ressentiments haben eine postkoloniale, antirassistische Solidarität verhindert? Wie lässt sich eine neue Beziehungsethik gestalten, in der das Zurückgeben illegitim angeeigneter Güter erfolgen kann?
BÉNÉDICTE SAVOY (*1972, Paris) ist die Leiterin des Fachgebiets Kunstgeschichte der Moderne an der Technischen Universität Berlin. Von 2016 bis 2021 hatte sie zudem eine Professur am Collège de France in Paris für die Kulturgeschichte des künstlerischen Erbes in Europa vom 18. bis 20. Jahrhundert inne. Gemeinsam mit dem senegalesischen Wissenschaftler Felwine Sarr erstellte sie 2018 im Auftrag des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron den Bericht »Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter«. Für ihre Forschung und ihre akademische Lehre erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter den 2016 verliehenen Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Sie ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie in diversen wissenschaftlichen Beiräten und Gremien. Zuletzt erschien ihr Buch »Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage« sowie die beiden Bände »Beute – Eine Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe« (mit Isabelle Dolezalek und Robert Skwirblies) sowie »Beute – Ein Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe« (mit Merten Lagatz und Philippa Sissis).
Streitraum 2021/22: Pluralisierung der Gegenwart
– Pluralisierung der Erinnerung?
In den letzten Jahren haben nicht nur die Auseinandersetzung mit dem NSU und die Black Lives Matter Bewegung schmerzhaft deutlich gemacht, wie ungehindert und unreflektiert noch Rassismus, Antisemitismus und neonationalistische Bewegungen ihre Menschenverachtung und ihre Gewalt ausleben können. Die kritische Reflexion auf die rechten Netzwerke der Gegenwart muss immer auch die Frage zulassen, welche historischen Kontinuitäten sich in ihnen zeigen und welche nicht. Eine säkulare, offene, pluralisierte Demokratie darf sich nicht nur als säkular, offen und pluralistisch behaupten – und die eigenen blinden Flecken, die eigenen religiösen, kulturellen, sozialen Normierungen unangetastet lassen. Wie lässt sich der demokratische Diskurs, die demokratische Teilhabe wirklich pluralisieren, welche Geschichte/n müssen erzählt werden und wie lassen sich die Konflikte um Deutungen und Erfahrungen konstruktiv gestalten?
Der Streitraum ist eine monatliche Diskussionsveranstaltung an der Schaubühne und wird seit 2004 von der Publizistin und Autorin Carolin Emcke moderiert und kuratiert. Eingeladen werden Wissenschaftler_innen, Autor_innen, Politiker_innen, Künstler_innen und andere Personen des öffentlichen Lebens. Der Streitraum behandelt in jeder Spielzeit ein anderes Thema.